Was bewirken Individualziele wirklich?

Fast alle Unternehmen, in denen ich als Angestellte gearbeitet habe und für die ich in letzter Zeit als Coach tätig war oder bin, arbeiten mit Individualzielen. Individualziele beschreiben den geplanten oder gewünschten Leistungsbeitrag, der aus Unternehmenssicht von einem einzelnen Mitarbeiter in einer bestimmten Zeitperiode erbracht werden soll. Meistens ist der Grad dieser Zielerreichung an eine variable Vergütung geknüpft. Diese Praxis ist vor allem in Unternehmen bzw. Unternehmensbereichen verbreitet, in denen ein hohes Bildungsniveau erforderlich ist und die Aufgaben sehr komplex sind.

Nun, warum tut man das? Das jeweilige Unternehmen verspricht sich von diesen individuellen Zielvereinbarungen eine höhere Performance des einzelnen Mitarbeiters. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Motivation. Denn natürlich möchte jedes Unternehmen mit Hilfe seiner Mitarbeiter soviel Wert und Innovation für die Kunden generieren wie möglich. Dass das Ganze funktioniert, setzt voraus, dass Mitarbeiter von außen also extrinsisch motiviert werden können.

Genau an diesem Punkten setzten verschiedenen Studien von Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Universitäten an, die diese Kausalität widerlegen und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Das MIT zum Beispiel hat nachgewiesen, dass die Arbeitsleistung sinkt, sobald ein Mitarbeiter einen Bonus für eine bestimmte Aufgabe in Aussicht gestellt bekommt. Das trifft zu, wenn minimale kognitive Fähigkeiten für die Arbeit erforderlich sind. Es verstärkt sich, je schwieriger die Aufgabe ist und je mehr konzeptionelles Denken erforderlich ist. Die Ergebnisse konnten reproduziert werden - sogar auf verschiedenen Erdteilen, sie sind also nicht kulturabhängig. Im Umkehrschluss gelten sie nicht für rein mechanische Aufgaben.

Natürlich spielt Geld für Mitarbeiter und ihre Arbeitsleitung eine Rolle. Aber nur solange, bis sie sich angemessen bezahlt fühlen. Ein Gehalt, das vom Mitarbeiter als zu gering und damit als nicht fair eingestuft wird, demotiviert ihn. Hier gilt die goldene Regel: das Gehalt muss hoch genug sein, damit es nicht mehr im Weg steht bzw. die Gedanken ablenkt. Und ab dann kommen drei Faktoren ins Spiel, die tatsächlich zu höherer Leistung führen – mindestens in Aufgabenbereichen, die geistige Fähigkeiten erfordern.

Diese Faktoren hat Daniel H. Pink in seinem Buch ‚Drive – The Surprising truth about what motivates us’ beschrieben. Dieses Buch ist nicht neu, sondern aus dem Jahr 2009. Aber aus meiner Sicht hat es an Aktualität nicht verloren.

Die drei motivierenden Faktoren sind:

Autonomy (Autonomie): wir alle wollen so selbstbestimmt wie möglich agieren, und das, was wir selbstbestimmt tun, wird eigentlich immer gut. Wenn Autonomie in einem Unternehmen zugelassen bzw. ermöglicht wird, dann entsteht mehr Engagement und weniger reine Einhaltung von Vorschriften.

Mastery (Meistern): wir alle haben auch den Drang, in etwas besser zu werden, deshalb haben wir z.B. Hobbys und Trainieren ohne dafür Geld zu bekommen. Wenn es einem Unternehmen gelingt, diesen Flow zu erreichen, z.B. durch entsprechende Herausforderungen und die nötige Unterstützung, dann ist die Mitarbeiterleistung fast schon garantiert.

Purpose (Zweck, Sinn): Tief in uns wollen wir alle einen Beitrag leisten. Sehen wir bei dem Unternehmen, für das wir Arbeiten, diesen Sinn, haben wir jederzeit einen Kompass und kommen auch nicht vom Pfad ab. Bei rein monetären Anreizen gepaart mit einem unklaren Ziel und Zweck der Organisation, kann durch einen ehrgeizigen regelkonformen Mitarbeiter sogar Schaden für die Organisation entstehen. Denn diesem Mitarbeiter fehlt möglicherweise der Kompass.

Die Implementierung dieser drei Faktoren sieht sicherlich für jedes Unternehmen unterschiedlich aus. Doch Überlegungen in diese Richtung zahlen sich durch weniger Fluktuation bei den Mitarbeitern, die Möglichkeit bessere Talente zu rekrutieren, ein besseres Teamgefühl im Unternehmen und letztendlich eine höhere Leistungsfähigkeit aus. Denn ein weiterer negativer Faktor von Individualzielen ist, dass sie Teamarbeit verhindern und in einigen Fällen sogar unternehmerisches Denken bei den Mitarbeitern behindern.

Folgende persönliche Einschätzung eines Kollegen, der anonym bleiben möchte, erreichte mich in den letzten Tagen und ich konnte mich gut in seine Situation hineinfühlen: „Ich habe zu Performanceincentives folgende Erfahrungen gemacht: Als ich noch in Mainz in der Agentur gearbeitet habe, gab es am Jahresende immer einen stattlichen Bonus, wenn das Geschäft im betreffenden Jahr gut gelaufen ist. Bei guter Auftragslage fühlte man sich schon ein wenig unter Druck gesetzt, zusätzlich Aufträge anzunehmen und evtl. Überstunden zu machen (oder auch non-billable work zu verschieben, wie hausinterne Styleguides zu entwerfen oder ähnliches), weil man im Hinterkopf diesen Jahresbonus hatte. Man mühte sich damit sichtlich ab. Der kurze Moment der Freude, wenn man den Bonus schwarz auf weiß am Jahresende sah, konnte das eigentlich nicht aufwiegen. Dafür hätte der Bonus über die Maßen hoch sein müssen, was aber natürlich unrealistisch war. In dem Jahr, in dem ich kündigte, und ich wusste, dass es für mich kein Jahresbonus mehr geben wird, konnte ich dann eigentlich unvoreingenommen entscheiden, ob ein Auftrag angenommen werden sollte oder nicht. Das war irgendwie auch befreiend.“

An dieser Stelle würden mich Eure Erfahrungen interessieren. Habt Ihr Beispiele wo monetäre Anreize aus Eurer Sicht doch zu mehr Performance geführt haben oder wo möglicherweise sogar schadhaftes Verhalten von Mitarbeitern die Folge war? Schreibt mir doch einfach.

Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren


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Andrea SchmittInnovationstrainerinAm Mittelpfad 24a65520 Bad Camberg+49 64 34-905 997+49 175 5196446
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