Die Hürde, Dinge grundlegend anders zu machen, ist für uns alle sehr hoch. Je nachdem wie groß unser Schmerz oder unsere Unzufriedenheit mit der Situation ist, schaffen wir es, etwas zu ändern oder auch nicht. Psychologen empfehlen, mit den kleinen niederschwelligen Veränderungen anzufangen, da dann der innere Widerstand am leichtesten zu überwinden ist. Nein, ich spreche nicht über gesündere Ernährung oder die Absicht mehr Sport in den Alltag einzubauen, sondern über unsere Arbeitswelt...
Vorletzte Woche habe ich mit meiner Kollegin Dr. Vanessa Giese ein Webinar mit dem Titel ‚Gute Meetings - einfache Methoden bewirken Großes‘ durchgeführt. Wir haben Methoden und Praktiken für Meetings jeglicher Art vorgestellt beziehungsweise gemeinsam mit unseren Teilnehmer:innen erarbeitet. Dabei ist mir nochmal klar geworden, dass man durch den bewussten Einsatz bestimmter Moderationsmethoden den Grad der Partizipation der Mitarbeiter erheblich erhöhen kann und das ganz ohne ein großes Change-Programm aufzusetzen. Es reicht schon, Meetings anders als üblich aufzuziehen. Nun gut, dass ist natürlich etwas untertrieben, man muss die Meetings oder zumindest bestimmte Meetings ganz konsequent und regelmäßig anders durchführen, um die Partizipation der Mitarbeiter nachhaltig zu verbessern. Zwei Beispiele für solche Formate, die erlauben, dass sich jede Person mit ihrem Wissen und ihren Ideen ganz einbringen kann, möchte ich kurz vorstellen.
Denken wir an das wöchentliche Teammeeting: es ist lang, die Agenda ist bis zum Ende des Meetings unklar, es reden immer nur die gleichen zwei oder drei Personen, für die meisten Anwesenden fühlt es sich wie verschwendete Zeit an.
Hier eignet sich das Format des ‚Lean Coffees‘ - auch Diskussionsmarktplatz genannt - perfekt, um etwas Schwung in die Bude zu bringen. Es ist ganz einfach umzusetzen, es braucht nur einen strengen Time-Keeper. Das Meeting startet zunächst ohne Agenda. Die zu diskutierenden Themen werden zu Beginn des Teammeetings auf einem Flipchart gesammelt. Jeder darf Punkte einbringen, egal welche Rolle die Person im Team innehat. Danach werden die Themen priorisiert, indem jede Teilnehmer:in drei Punkte auf die Themen verteilt, an denen sie besonders interessiert ist. Und schon steht die Agenda fürs Teammeeting und ist für alle transparent: die Themen werden nach Priorität angeordnet und der Themengeber, dessen Thema die meisten Punkte bekommen hat, beginnt. Diese Person bekommt 8 Minuten Zeit, die sie für ihr Thema nutzen kann. Sie kann einen Vortrag halten, eine Frage stellen, ein Thema zur Diskussion stellen oder eine Aufgabe stellen. Nach Ablauf der 8 Minuten wird abgestimmt, ob die Person noch weitere 2 Minuten Zeit bekommt oder nicht. Spätestens nach ein oder zwei Verlängerungen ist die Person mit dem Prio 2 Thema an der Reihe und beginnt nach den gleichen Regeln. Je nach Länge des Meetings tauscht sich die Gruppe zu 2 bis 8 Beiträgen aus. Die Themen, die aus zeitlichen Gründen nicht bearbeitet wurden, müssen im nächsten Meeting vom Themengeber wieder neu eingebracht werden, natürlich vorausgesetzt, dass sie dann immer noch relevant sind.
Es geht völlig demokratisch zu, es werden nur die Themen besprochen, die für die Mehrheit interessant sind, und es ist sichergestellt, dass nicht eine Person in Monologe verfällt. Führt ein Team dieses Format regelmäßig und verlässlich durch, werden die Themen, die je Termin neu gesammelt werden, weniger. Das bedeutet, dass nahezu alle Themen bearbeitet werden können. So gelingt es, ein Meeting, das für die meisten Beteiligten eine Bürde war, zu einer gemeinsamen Zeit wird, die nach den Bedürfnissen der Gruppe genutzt wird.
Eine andere Situation, an die ich denke, ist folgende: Ein Bereich mit mehr als 10 Mitarbeitern ist für den Kunden-Support verantwortlich und die Kunden sind nicht mehr so zufrieden wie in der Vergangenheit. Verbesserungen müssen her. Es hat schon längliche Diskussionsrunden gegeben, aber eine Richtung zur Verbesserungsmöglichkeit ließ sich nicht herauskristallisieren.
An dieser Stelle würde ich die Methode 1-2-4-all aus den Liberating Structures anwenden: In kurzer Abfolge und zeitlich begrenzt wird ein und dieselbe Fragestellung (z.B. Wie können wir unseren Kunden-Support so umgestalten, dass unsere Kunden zufriedener mit uns sind?) erst an jeden einzeln, dann an Paare, dann an Gruppen von 4 und dann an die ganze Gruppe gestellt. Das heißt
- für 3 Minuten denkt jeder allein und macht sich Notizen,
- dann werden Paare gebildet, die gemeinsam für 5 Minuten denken
- danach bildet sich aus zwei Paaren eine Vierergruppe, die 7 Minuten Zeit bekommt, um sich auszutauschen, Lösungen zu favorisieren und graphisch festzuhalten
- in der letzten Runde kommt die ganze Gruppe für 10 Minuten zusammen, um gemeinsam auf die favorisierten Lösungen der Vierergruppen zu schauen
Auch hier ist ein striktes Zeitmanagement nötig. Die vorgegebenen Zeiten scheinen straff und natürlich kann man auch von vornherein etwas längere Zeiten wählen, aber die knappe Zeit hat eine sehr bewusste Funktion: es geht darum jeden aus der Gruppe zu Wort kommen zu lassen, sich zu fokussieren und sich für einige favorisierte Lösungen zu entscheiden – die knappe Zeit hilft genau dabei! Darüber hinaus hat die Methode im Wesentlichen zwei Effekte:
- jeder Mitarbeiter partizipiert und wird gehört (vor allem in größeren Gruppen)
- man findet automatisch Lösungen, die mehrheitsfähig sind – normalerwiese konvergieren die vielen Einzelmeinungen über die verschiedenen Runden hinweg.
Diese Methode bringt neben den bereits erwähnten Effekten auch viel Spaß und Dynamik und ist es in jedem Fall wert ausprobiert zu werden – vor allem in größeren Gruppen von 10 bis 50 Teilnehmern. Bei sehr großen Gruppen, kann man auch gerne noch ein oder zwei Runden einschieben, bevor man in der gesamten Gruppe zusammenkommt: z.B. Gruppen von 8 und Gruppen von 16 Personen bilden.
Selbstverständlich sind die vorgestellten Formate gleichermaßen für Präsenz- sowie für Online-Meetings geeignet. Also - Ausreden diese Methoden nicht auszuprobieren, gibt es nicht!
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren