Der Discounter Penny veranstaltet diese Woche eine interessante Aktion, indem er neun ausgewählte Produkte zu einem Preis verkauft, der die wirklichen Kosten der Herstellung widerspiegelt – einschließlich aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden. Begleitet wird die Aktion durch die Technische Universität Nürnberg (Lehrstuhl Umweltökonomie), die zuvor die „wahren“ Preise berechnet hatte und anhand der Aktion die Reaktion der Konsumenten beobachten möchte. Nicht überraschend ist sicherlich, dass tierische Produkte eine Preissteigerung von bis zu 94% erlebten, während die pflanzlichen Produkte nur 5% teurer wurden.
Einmal mehr wurde durch diese Aktion mein Herzensthema, als Menschheit verantwortungsvoller mit unseren Ressourcen umzugehen, positiv berührt. Mir macht es Hoffnung, verschiedene Aktivitäten in der Wirtschaft oder auch im privaten Umfeld zu erleben, die in Richtung weniger beziehungsweise verantwortungsvollerem Konsum oder Kreislaufwirtschaft zielen.
Patagonia ist bereits bekannt dafür, auf Nachhaltigkeit zu achten. Das Unternehmen nutzt Biobaumwolle oder Recycling-Materialien für seine Produkte. Bereits 2011 machte Patagonia am Black Friday auf sich aufmerksam, indem das Unternehmen eine Anzeige in der New York Times schaltete mit dem Aufruf: „Kaufe diese Jacke nicht“. In einem aktuellen Handelsblatt-Artikel vom 22.Juli 2023 kündigt die neue Europachefin Nina Hajikhanian an, die Reparaturen in den nächsten 5 Jahren auf das Vierfache zu erhöhen und dafür die nötige Service Infrastruktur zu schaffen. Gleichzeitig ist Patagonia ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Unternehmen. Patagonias globaler Jahresumsatz wird auf 1,5 Milliarden US$ geschätzt, die Gewinne auf 100 Millionen US$.
Ein anderes Beispiel für gelebte Kreislaufwirtschaft ist die Firma HPE, die bis 2015 zu Hewlett Packard gehörte und seit 2011 keine neuen Produkte mehr herstellt, sondern sich auf Recycling and Refurbishing von IT-Geräten spezialisiert hat. An ihrem Standort in Schottland (Erskine) wurden in den letzten drei Jahren mehr als acht Millionen Geräte einer erneuten Nutzung zugeführt, also refurbished. Die meisten Geräte (vor allem Notebooks und Server), die die Firma überarbeitet, weil sie keiner mehr nutzen will oder kann, kommen aus ausgelaufenen Leasing-Verträgen. Diese haben ein hohes Potenzial, wieder nutzbar gemacht zu werden.
Ich frage mich immer wieder, wie diese einzelnen – wenn auch positiven – Beispiele die Welt und unser aller Umgang mit den beschränkten und verletzlichen Ressourcen unserer Erde verbessern können. Nun, ich glaube, es sind Impulse, die wir aufgreifen können und sollten, die allein aber nicht ausreichen. Es braucht aus meiner Sicht ein neues und verändertes Zusammenspiel von Politik, Zivilbevölkerung und Unternehmertum. Es ist das sperrige Wort der Postwachstums-Ökonomie oder auch Degrowth-Bewegung, dass mir in diesem Zusammenhang begegnet ist.
Nach meinen Recherchen ist Niko Paech – Volkswirt und Professor an der Universität Siegen – die Person, die im deutschsprachigen Raum den Begriff der Postwachtsums-Ökonomie am meisten prägt. Er wird als vehementer Wachstumskritiker beschrieben. Die Postwachstums-Ökonomie, so wie er sie beschreibt, geht in der Tat sehr weit. Was er aber in keiner Weise ablehnt, ist Innovation und technischer Fortschritt. Das sagt er auch ganz klar in dem aktuellen Cicero Podcast mit dem Titel „Ökologie ist nicht verhandelbar“. In diesem Podcast diskutieren Stefan Kooths (Wachstums-Verfechter) und Niko Paech (Degrowth-Verfechter) im Wesentlichen über die folgenden zwei großen Fragen:
- Sind wir als Volkswirtschaft noch fähig zu Innovation und technischem Fortschritt, wenn es kein erklärtes Ziel zu wirtschaftlichem Wachstum gemessen am Bruttoinlandsprodukt mehr gibt?
- Können wir eine lebenswerte Erde erhalten, wenn wir weiter auf Wirtschaftswachstum (auch wenn wir es „grünes“ Wachstum nennen) setzen und die dadurch entstehenden Schäden durch technologischen Fortschritt beheben?
Hört doch einfach selbst rein, es ist ein argumentativ interessanter Schlagabtausch zwischen zwei sehr unterschiedlichen Positionen.
Meine Hoffnung ist, dass ein stagnierendes oder gar negatives Wachstum, welches rein am Bruttoinlandsprodukt gemessen wird, nicht notwendigerweise Innovation und technischen Fortschritt ausschließen. Wenn meine Hoffnung eine Wahrheit wäre, dann könnten wir (Politiker:innen, Verbände, Institutionen, Unternehmer:innen und Privatpersonen) ohne Verlustängste Debatten führen und gemeinsam nach neuen Formen des Zusammenlebens suchen.
Einige Ideen aus dem Konzept der Postwachstums-Ökonomie sind aus meiner Sicht gut und gar nicht mal so weit weg vom Vorstellungsvermögen vieler Menschen:
- Verdeckte ökologische Kosten mit einpreisen oder durch korrigierte Besteuerung reflektieren (siehe aktuelle Penny-Aktion oder z.B. die Debatte um eine gerechte Kerosin-Besteuerung für die Flugindustrie)
- Lokale Wirtschaft durch Anreize fördern (z.B. Förderung von Bauern mit Direktvertrieb, Transportwege höher besteuern)
- Kreislaufwirtschaft stärken: längere Lebenszeiten von Produkten, Reparaturen, Recycling, Refurbishing ermöglichen bzw. incentivieren (siehe Patagonia oder HPE)
- Gemeinschaftsnutzung erhöhen (Car-Sharing, etc.)
- Durch Selbstversorgung benötigte Lebensmittel ergänzen (eigener Obstanbau anstatt versiegelter Steingärten)
- Den Wachstumsbegriff erweitern, zum Beispiel um Aspekte wie soziale Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Freizeit, Selbstwirksamkeit, gesunde Luft, sauberes und genügend Trinkwasser, etc.
Es gibt bereits viele Veränderungen in Richtung Dekarbonisierung. Von den Unternehmen werden Rahmenbedingungen und Gesetze zu weniger CO2-Ausstoß mitgetragen oder gar technologisch vorbereitet. Die Zivilbevölkerung in Deutschland und in anderen reichen Industrienationen scheint in der breiten Masse noch nicht so weit zu sein, dass sie ihr Streben nach mehr Wohlstand beziehungsweise Erhaltung dessen für sich umzudeuten vermag.
Denn am heutigen Erdüberlastungstags drängt sich für mich die Frage auf: Sollte gefühlter Wohlstand ausschließlich davon abhängig sein, ob wir uns jeden neu aufkeimenden Konsum-Wunsch sofort erfüllen können? Wie stehst Du dazu? Wie deutest Du Wohlstand für Dich persönlich?
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren