Kann man ‚halb‘ agil starten?

Das Thema ‚Agiles Arbeiten nach Scrum‘ wird bei mir noch immer stark nachgefragt, und dass obwohl die Ideen dazu schon älter als 20 Jahre sind. Auch ich stehe noch immer hinter dieser Arbeitsweise und den damit verbunden Werten. Aus meiner Sicht ist Scrum genau das Richtige für Teams, die sich komplexen Aufgaben und sich ständig verändernden Anforderungen stellen wollen bzw. müssen.

Viele solcher Teams habe ich bereits erfolgreich dabei unterstützt, ihre Arbeitsweise in das Scrum Framework zu überführen mit allem, was dazu gehört: neue Rollen, sehr klar strukturierte Meetings, dedizierte Sprintwechseltage, ein Sprint Backlog und ein emergentes Product Backlog. Die Scrum Teams berichten mir unter anderem, dass sie dank Scrum stets den Überblick haben, wer womit beschäftigt ist und möglicherweise Hilfe benötigt. Die betroffenen Führungskräfte hingegen beobachten stärkere Verantwortungsübernahme durch das Team und höhere Qualität der Arbeitsergebnisse. 

Über diese Teams möchte ich heute allerdings nicht sprechen, sondern über die, die bei mir zwar eine Veränderungsbegleitung hin zu agilem Arbeiten anfragen, wir dann aber gemeinsam feststellen, dass in dem Moment das komplette Scrum Framework gar nicht die beste Lösung ist. 

Die Gründe für diese Erkenntnis sind vielfältig. Um nur mal zwei mögliche Gründe zu nennen: Es kann sein, dass das Team zu dem entsprechenden Zeitpunkt so unter Druck steht, dass bereits kleine Veränderungen für die meisten Beteiligten zu übermäßigem Stress führen. Oder, die Scrum Rollen können nicht besetzt werden, da z. B. keine Person Interesse an der Scrum-Master-Rolle zeigt. Wenn bei der Besetzung der Scrum-Rollen der Aspekt der Freiwilligkeit gepaart mit Neugierde nicht erfüllt ist, sollte aus meiner Sicht das Scrum Framework besser nicht eingeführt werden. Hier denke ich vor allem an die Scrum-Master-Rolle, die meiner Meinung nach unglaublich wichtig ist, um den Rest des Teams mit seiner oder ihrer Begeisterung in Richtung ‚agil‘ zu ziehen.

Teams und ihre Führungskräfte, die ihre Zusammenarbeit effizienter und mit weniger Reibungsverlusten in der Kommunikation gestalten wollen, können, ohne das gesamte Scrum Framework einzuführen, einen ersten Schritt in Richtung agil machen, indem sie ein Arbeitsboard ähnlich dem Sprint Backlog einführen. Dieses Arbeitsboard sollte alle aktuellen Aufgaben der beteiligten Teammitglieder enthalten. Die Aufgaben müssen in kleine Pakete geschnürt werden, deren Bearbeitung nicht länger als 1 bis 3 Tage dauert. Dieses Arbeitsboard macht nur Sinn in Kombination mit einem 15-minütigen Daily (tägliches Meeting zur Arbeitsorganisation des Teams), dass der Agenda folgt: 1. Was habe ich fertiggestellt? 2. Was werde ich mir als nächstes vornehmen? 3. Welche Hindernisse habe ich? 
Sollte dieses tägliche Abstimmungsmeeting schon zu viel Eingriff in die bestehenden Arbeitsabläufe bedeuten, wäre ein Meeting zur Arbeitsorganisation möglich, das nur zweimal pro Woche stattfindet und jeweils nicht länger als 30 Minuten dauert. Transparenz und Kommunikation werden sich allein durch diesen ersten Schritt deutlich verbessern. Probiert es aus! 

Der nächste Schritt in Richtung agil ist aus meiner Sicht die regelmäßige Durchführung von Retrospektiven, in denen die Zusammenarbeit gemeinsam im Team beleuchtet wird. Werden diese Meetings in sinnvollen Abständen und sorgfältig durchgeführt, ermächtigt man die Teams, Verantwortung für die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit zu übernehmen. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, um die Qualität der Arbeitsergebnisse zu erhöhen – aus meiner Sicht ein viel wichtigerer als es Kontrolle jemals sein kann!
Die sorgfältige Durchführung einer Retrospektive bedarf allerdings eines ausgebildeten Moderators bzw. einer ausgebildeten Moderation. Da die Menschen in den meisten Organisationen nicht geübt darin sind, anzusprechen, was sie wirklich bewegt, muss durch eine entsprechende professionelle Moderation die Ermutigung und Sicherheit dazu geschaffen werden. Eine Retrospektive, die unter Zeitdruck und mit halbherziger Moderation durchgeführt wird, sollte man lieber lassen. Denn nur wenn Dinge von den Teammitgliedern ehrlich und offen angesprochen werden dürfen, können aus dem Team heraus wirkungsvolle Maßnahmen entwickelt werden. Diese in der Retrospektive entwickelten Maßnahmen haben das Potenzial, das Team bzgl. einer effizienten und guten Zusammenarbeit wirklich nach vorne zu bringen.

Mein Fazit: Ja, es gibt auch ‚halb‘ agil als ersten bzw. zweiten Schritt in Richtung Scrum Framework. Und es ist besser mit den oben aufgeführten ersten zwei Schritten zu beginnen, als das Team und / oder die Führungskraft in ihrer Veränderungsbereitschaft (die selbstverständlich auch von der aktuellen Belastung abhängt) zu überfordern. Was nicht heißen soll, dass ein Team, das Lust auf Scrum mit all seinen Vorzügen hat, direkt auf das Arbeiten nach dem Scrum Framework umsteigen kann und sollte. Man hat immer die Wahl!

Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren


Lesetipp:


Andrea SchmittInnovationstrainerinAm Mittelpfad 24a65520 Bad Camberg+49 64 34-905 997+49 175 5196446
Ihre Nachricht
Ihre Daten

Wenn Sie mir eine E-Mail senden, speichere ich Ihre E-Mail-Adresse sowie weitere Daten, die Sie im Formular eintragen. Weitere Infos dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung.


Diese Website benötigt ein sogenanntes „Session-Cookie“ um die von Ihnen gewählte Sprachversion festzulegen und das Kontaktformular vor Missbrauch zu sichern. Dieses Session-Cookie wird nach dem Beenden des Browsers automatisch gelöscht. Wenn Sie Cookies zustimmen wird diese Zustimmung in einem weiteren Cookie für die Dauer von 4 Wochen gespeichert. Wir vewenden den Webanalysedienst Matomo um zu sehen, welche unserer Seite für Sie interessant sind und so unser Angebot zu verbessern. Matomo setzt keine Cookies und anonymisiert Ihre IP-Adresse. Gewonnene Daten werden nicht mit anderen Daten oder Diensten zusammengeführt. Weitere Informationen, sowie die Möglichkeit von Matomo nicht erfasst zu werden, finden Sie in derDatenschutzerklärung