Das Thema Scheitern ist en vogue! Überall lesen und hören wir über gelebte Fehlerkultur und Fuck-up Nights. Aber erstens bezweifle ich ein wenig, dass dort‚ wo Fehlerkultur drauf steht, auch eine drin ist, und zweitens stelle ich mir die Frage, ob wir Misserfolge oder Augenblicke des Scheiterns wirklich nutzen, um uns weiterzuentwickeln.
Diesen zweiten Aspekt möchte ich gerne etwas weiter beleuchten. In dem Artikel „Schöner Scheitern“ von Sebastian Herrmann vom 12.11.2022 zitiert er zwei Psychologinnen*, die beschreiben, dass es Menschen unglaublich schwer fällt, aus Fehlern zu lernen. Der Grund, den sie dafür angeben, ist der übermäßige Schmerz, den wir Menschen empfinden, wenn wir das Gefühl Reue zulassen. Etwas zu bereuen heißt, sein Selbstbild in Frage zu stellen, also das eigene Ego. Letzteres tun wir nicht gerne und versuchen es möglichst zu vermeiden. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass wir negativem Feedback möglichst aus dem Weg gehen, obwohl wir alle wissen, dass darin so viel Potential zu lernen und sich zu verbessern liegt.
Daniel Pink beschreibt in seinem neuen Buch „The Power of Regret“ (Die Kraft des Bedauerns), das genau das Gefühl der Reue uns erst ermöglicht aus, Fehlern zu lernen. Den Moment des ehrlichen Bedauerns können wir nämlich nutzen, um zurückzuschauen und zu überlegen, was wir hätten anders machen können, um ein besseres Ergebnis zu erreichen. Aus diesen Situationen lernen wir dann - wenn es gut läuft - für die Zukunft. Daniel Pink unterscheidet zwischen ‚produktivem Bedauern‘ und ‚unproduktivem Bedauern‘. Beim unproduktiven Bedauern würden wir mit den Gedanken, was wir hätten anders machen können, ausschließlich in der Vergangenheit verharren, während wir beim produktiven Bedauern, das Gelernte auf zukünftige Handlungen und Entscheidungen übertragen. Natürlich ist es das produktive Bedauern, welches wir anstreben!
Leider ist das Gefühl des echten Bedauerns - aller Lippenbekenntnisse der Fehlerkultur zum Trotz - in meiner Wahrnehmung noch immer nicht salonfähig in unserer Gesellschaft. Uns wird suggeriert, dass wir nicht zurückschauen sollen, sondern lieber nach vorne. Wir sind angehalten, über unsere Misserfolge nicht so viele Worte zu verlieren, sondern uns auf das Erzählen von Erfolgsgeschichten zu konzentrieren, usw.
Das heißt, wir haben zwei Herausforderungen zu überwinden, wenn wir wirklich aus Misserfolgen lernen wollen:
- Unser Ego in Frage zu stellen und dem Bedauern Raum zu geben, auch wenn es uns schwerfällt
- Zu ignorieren, dass es gesellschaftlich immer noch nicht akzeptiert ist, über Misserfolge zu sprechen
Eine Lösung, die sich zumindest in der Start-up-Szene etabliert hat, sind regelmäßig durchgeführte ‚Fuck-up Nights‘. Dort stellen gescheiterte Gründer ihre Geschichten des Scheiterns vor. Warum scheint dieses Format zu funktionieren, wo wir doch ansonsten eher nicht bereit sind, über Fehler zu reden? Nun, normalerweise hält uns unser Ego davon ab zuzugeben, dass etwas schieflief. Bei den Fuck-up Nights steht die Bühne denen offen, die bereit sind zu ihren Fehlern zu stehen. Die Bühne erlaubt unserem Ego wiederum sich gut zu fühlen.
Eine Alternative dem echten Bedauern Raum zu geben, wenn man nicht öffentlich darüber sprechen möchte, ist das Niederschreiben des Erlebten. Dadurch schaffen wir uns einen Zugang zu den Einsichten, die hinter dem Scheitern stecken, und somit eine Möglichkeit der Analyse, um für die Zukunft zu lernen.
Mein Fazit: Aus Misserfolgen kann man nur dann lernen, wenn man das herausfordernde Gefühl des Bedauerns zulässt. Gegen die weitverbreitete Meinung „No regrets!“ ist Bedauern die Grundvoraussetzung, um zu lernen und besser zu werden.
Auch Sprüche wie „Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und weitergehen“ vermitteln uns, dass ein Blick zurück nicht schlau ist. Doch nur wenn wir analysieren, was schiefgelaufen ist, können wir beim nächsten Mal Dinge anders machen. Nicht zurückzuschauen würde bedeuten, den gleichen Fehler immer wieder zu machen, und wie schlau ist das bitte?
*Lauren Eskreis-Winkler und Avelet Fishbach
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren