Innovationen sind auch ohne Wachstum möglich

Vor meiner Sommerpause muss ich einfach nochmal einen etwas philosophischen Blick auf die Welt, unser (Zusammen-)Leben und unser Wirtschaften werfen. Inspiriert hat mich dazu vor allem das Interview mit Harald Welzer (Sozialpsychologe) in der Sternstunde Philosophie des SRF Kultur (Schweizer Fernsehen) vom letzten Oktober.

Die meisten Aufrufe zu mehr Nachhaltigkeit arbeiten mit Negativszenarien also ‚Was wir nicht mehr dürfen‘ oder ‚Worauf wir verzichten müssen‘ – so auch der Artikel von Silvia Liebrich in der SZ am vergangenen Wochenende (30.07.22). Harald Welzer ist es gelungen, das Thema Nachhaltigkeit mit einem positiven Spin zu belegen. Er dreht die Perspektive herum und schaut von einer positiven Zukunft auf uns Menschen. Dort sieht er zum Beispiel die Freiheit, die wir erreicht haben werden, wenn unser Glück nicht mehr abhängig ist von dem neu erworbenen Kleidungsstück oder dem neuen, noch größeren Auto. Er malt die Zukunft, in der die Städte grüner sind, es mehr Plätze für Begegnungen gibt, da man sich gerne in den Städten aufhält - um nur einige Beispiele zu nennen. Er macht also positive Gegenentwürfe zum ‚Weiter so‘.

Er spricht davon, dass wir ein anderes Sinnmodell schaffen müssen als Gegenentwurf zu Wachstum. Aus seiner Sicht sind wir als moderne Gesellschaft sehr wohl in der Lage, unser aktuelles Kultur- oder Sinnmodell so zu verändern, dass Wirtschaften ohne das alles beherrschende Wachstumsmantra möglich wird. Unser neues Kulturmodell muss zum Ziel haben, die Ressourcen unserer Erde zu schützen und diese nur in dem Maße zu verbrauchen, wie sich die Erde regenerieren kann. Erfolg wird dann nicht mehr an Wachstum geknüpft werden, sondern an Faktoren wie eine gerechtere Verteilung des Nötigen (Sicherstellung einer Grundversorgung) und einer sauberen Umwelt.

Hierfür bedarf es des Staates, indem er als Vertreter der Erde die Nutzung von Ressourcen vernünftig einpreist. Es bedarf aber auch der Intelligenz von Unternehmen, die sich selbst in die Lage versetzen, klimaneutral zu wirtschaften und somit wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Innovationen werden weiterhin helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Beispiele finden sich im Moment vor allem in der Agrarwirtschaft, in der Indoor Farming über mehrere Pflanzebenen ausprobiert wird, um Fläche sowie Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu sparen. Über bestimmte Beleuchtungssysteme wird Gemüseanbau über alle Jahreszeiten möglich und somit kann auf engem Raum mehr produziert werden und Ackerflächen werden frei und können renaturiert werden.

Auch wir als Individuum sind natürlich für das Etablieren eines neuen Sinnmodells wichtig. Unser Verhalten und unsere Wertschätzung für andere Dinge als bisher werden eine Pfadabweichung - wie Harald Welzer sie nennt - möglich machen. Um im Beispiel der Agrarwirtschaft zu bleiben: das Wertschätzen von einem gut zubereiteten vegetarischen Gericht statt Fleisch erlaubt mit weniger Fläche die steigende Weltbevölkerung zu ernähren.

Harald Welzer glaubt daran, dass es, um Veränderungen voranzutreiben oder neue Pfade einzuschlagen, keine Mehrheiten braucht. Er ist überzeugt, dass die Einsichten von wenigen ausreichen, um andere mitzuziehen. Ein Beispiel dafür war aus seiner Sicht die Anti-Atomkraft-Bewegung in den 80er Jahren, die im Prinzip die erneuerbaren Energien erfunden haben.

Mich als Innovationstrainerin beschäftigt natürlich besonders, was die Abkehr von unserem ewigen Streben nach Wachstum und ‚Mehr‘ für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen bedeutet. Wird es weiterhin Innovationen in dem bekannten Maße geben? Da bin ich tatsächlich sehr zuversichtlich. Wenn man Innovation im Sinne versteht: ‚durch etwas Neues für Menschen, Nutzer und Umwelt Mehrwert stiften, welchen diese auch als solchen wahrnehmen‘, ist der Anreiz und die Motivation nach Innovationen zu suchen jetzt größer denn je. 

Die Essenz aus dem Interview mit Harald Welzer, die ich herausgehört habe: Aufhören mit dem Streben nach ‚Mehr‘, unser Sinnmodell neu denken, einen anderen Pfad zu wirtschaften einschlagen - der Freiheit wegen!

Mein Fazit: Mahnen und Warnen allein bringt nichts, solange keine interessanten Gegenmodelle mitgeliefert werden. Was sind also die interessanten Gegenmodelle unserer Zeit? Diese Frage lässt sich einfach beantworten mit einem Blick aus einer wünschbaren Zukunft zurück in die Gegenwart. Dann wird auch offensichtlich, was jetzt zu tun ist… 

Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren


Lese- und Videotipps:


Andrea SchmittInnovationstrainerinAm Mittelpfad 24a65520 Bad Camberg+49 64 34-905 997+49 175 5196446
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