Führung bedeutet Menschen, Individuen und Teams durch Kommunikation und eigenes Handeln zu bewegen, sinnvoll bei Wirklichkeitsgestaltung mitzuwirken.
Das gelingt nur, wenn die Führungskraft Menschen in ihrer Psychologie zumindest teilweise versteht.
Das schließt die Führungskraft selbst mit ein. Nur wenn sie sich mit ihren Bedürfnissen, Antreibern, Wertvorstellungen, Prägungen und Verhaltensmuster selbst kennt, ist sie in der Lage, mit anderen sinnvoll und zielführend zu kommunizieren. Das setzt ein großes Maß an Innenschau und Selbstreflexion, das Annehmen von Feedback sowie die Kenntnis grundlegender psychologischer Konzepte voraus.
Diese kann die Führungskraft sich zur Hilfe nehmen, um ihr Gegenüber besser zu verstehen. Als Konsequenz daraus kann sie ihre Kommunikation, die Aufgaben- und Verantwortungszuteilung sowie den Feedback- und Führungsstil für das jeweilige Gegenüber passgenau einsetzen.
Beispiele für solche psychologischen Konzepte sind:
- Wertevorstellungen: Nach welchem Wertekanon lebt ein Mensch, wofür setzt er sich ein, was sind seine Herzensthemen, wie wichtig sind ihm Familie usw.? Das zu verstehen, erlaubt der Führungskraft in einen empathischen Dialog mit der Mitarbeiterin einzutreten.
- Antreiberdynamiken und Glaubenssätze: Wir alle sind durch Erlebnisse der Vergangenheit sowie in starkem Maße unsere Erziehung und frühkindliche Prägung geprägt. Das beeinflusst unser Denken und Verhalten noch heute, vor allem in Situationen, in denen wir gestresst und nicht in unserer Mitte sind. Auswirkungen daraus könnten sein: überbordender Perfektionismus, es allen recht machen zu wollen, stets in Eile zu sein, sich nicht helfen zu lassen und sich übermäßig anzustrengen. Jeder von uns hat meist eine Neigung zu einer oder zwei dieser 5 Antreiberdynamiken. Es ist Aufgabe der Führungskraft, diese zu erkennen und dafür zu sorgen, dass der Mitarbeiter aufgrund seiner Antreiberdynamik nicht ausbrennt. (siehe auch Transaktionsanalyse)
- Nähe, Distanz, Stabilität oder Veränderung: Menschen haben sehr unterschiedliche Neigungen auf den Spannungsachsen „Nähe – Distanz“ und „Stabilität – Veränderung“. Es ist wichtig, dass die Führungskraft diese im Auge behält und zum Beispiel eine Person, die viel Nähe benötigt, nicht allein eine schwierige und wohlmöglich mit Konflikten verbundene Aufgabe überträgt. (siehe auch Riemann-Thomann-Modell)
- Persönlichkeitstypen nach MBTI (Myers-Briggs-Typenindikator): Anhand des Persönlichkeitstyps lässt sich ablesen, wie Menschen zu Entscheidungen kommen, wie sie Informationen verarbeiten, ob sie Logik über Harmonie stellen und wie sie sich strukturieren. Wenn Menschen mit sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen in puncto Entscheidungen treffen, Informationen verarbeiten usw. zusammenarbeiten, kann es leicht zu Missverständnissen oder gar Konflikten kommen. Sich als Führungskraft dieser unterschiedlichen Persönlichkeitstypen bewusst zu sein, sie vielleicht sogar im gesamten Team transparent zu machen, kann den Alltag deutlich vereinfachen. Durch offene Kommunikation bezüglich der Unterschiedlichkeiten oder geeignete Teamkonstellationen können Konflikte im Vorhinein verhindert werden oder zumindest schnell aufgelöst werden. (Die Ursprünge des MBTI gehen auf den Psychiater Carl Gustav Jung zurück.)
- Intrinsische Motivation: Was einen Menschen intrinsisch motiviert ist zwar individuell. Allerdings hat Daniel Pink 2009 herausgefunden, dass es drei Elemente gibt, die möglicherweise unterschiedlich stark ins Gewicht fallen, aber bei allen Menschen egal welcher Kultur oder Einkommensklasse zu erhöhter Motivation führen. Es sind Autonomy, Mastery und Purpose (deutsch: Autonomie, Meistern bzw. besser werden und Sinn). Wenn eine Führungskraft ihren Mitarbeiter:innen einen geeigneten Rahmen zur Entfaltung dieser 3 Elemente zur Verfügung stellt, kann sie für einen hohen Wirkungsgrad und Zufriedenheitslevel der Mitarbeiterschaft sorgen. Das gilt unter der Voraussetzung, dass die monetäre Vergütung bereits zur Grundzufriedenheit der Angestellten führt.
- (Wirklichkeits-)Konstruktivismus: Jede Person beschreibt eine bestimmte Situation aus ihrer eigenen Welt heraus, die geprägt ist durch persönliche Erfahrungen, Annahmen, Wünsche, Erwartungen, Erklärungsmodellen usw. Sie beurteilt diese Situation ganz anders als eine andere Person. Jede Person lebt folglich in ihrer eigenen Wahrheit oder Wirklichkeit. Daran wird offensichtlich, wie schnell Missverständnisse entstehen können. Das Mittel, derer sich eine Führungskraft bedienen kann, um entstandene Missverständnisse aufzulösen oder zumindest zu reduzieren, ist das Angebot eines Perspektivwechsels. Die Führungskraft könnte beide Konflikt-Parteien dabei unterstützen, einen Ausflug in die Welt des jeweils anderen zu machen. (Seinen Ursprung hat der Konstruktivismus in der philosophischen Erkenntnistheorie des 20. Jahrhunderts.)
- Selbstbild versus Fremdbild: Wir alle haben blinde Flecken. Deshalb ist es so wichtig, mit Feedback zu arbeiten. Nur empfangenes Feedback erlaubt uns, unser Selbstbild mit dem Fremdbild abzugleichen und somit die Lücke zwischen beiden zu reduzieren. Das Selbstbild mit dem Fremdbild regelmäßig abzugleichen, führt in der Folge dazu, sich selbst und seine Wirkung auf andere besser einschätzen zu können. Das ist für die Führungskraft essenziell, aber auch Teammitgliedern erleichtert das den Umgang untereinander. (siehe auch Johari-Fenster)
Mein Fazit: Die vorgestellten psychologischen Konzepte erweisen sich beim Thema Selbstführung und Personalführung aus meiner Erfahrung heraus als überaus hilfreich. Das Ethos einer Führungskraft verbietet es aus meiner Sicht, diese auch nur in der geringsten Form manipulativ einzusetzen. Um das sicherzustellen, sollte eine Führungskraft Dinge, die sie bei ihren Mitarbeiter:innen beobachtet, oder das, was sie an psychologischen Konzepten anwendet, dem jeweiligen Mitarbeiter beziehungsweise dem gesamten Team gegenüber transparent machen.
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren