Ja, so gerne hätten wir alles im Griff. Wir möchten, dass die Dinge so passieren, wie wir sie uns wünschen, wie wir sie geplant haben. Unglaublich viel Energie stecken wir in die Planung und Gestaltung unseres Lebens. Wir geben uns täglich der Illusion hin, dass wir alles kontrollieren können und alles in unserer Macht steht.
Wer bereits Schicksalsschläge und persönliche Krisen erlebt hat, hat zumindest kurzfristig die Erkenntnis gewonnen, dass dem nicht so ist. Allerdings liegt es in unserer Natur oder viel mehr in unserer westlichen Prägung, diese Erkenntnis schnell wieder zu vergessen und erneut die volle Kontrolle unseres Lebens anzustreben.
Aber auch weitreichende Krisen - über das persönliche Umfeld hinaus, zeigen uns in regelmäßigen Abständen, dass wir Menschen die Natur nicht im Griff haben, manchmal auch die von uns geschaffene Technik nicht beherrschen und dass auch die Wirtschaftsmärkte oft nicht unseren Prognosen folgen. Ich denke da an die Finanzkrise 2008, Naturkatastrophen und das damit verbunden Atomunglück in Fukushima 2011 sowie an die jetzige Pandemie.
Wie wäre es, wenn wir akzeptieren könnten, dass nicht alles von uns kontrollierbar und bestimmbar ist?
Wir würden die neue Situation (zumindest mal in Krisenzeiten) annehmen wie sie ist und hätten Zeit und Energie innerhalb der unbekannten und auch zunächst ungewollten Begebenheiten kreativ zu agieren. Das lässt sich auf unser persönliches Leben, den Unternehmenskontext sowie auf unsere gesamte Gesellschaft anwenden.
Im persönlichen Kontext bedeutet es, zu sehen, was trotz Corona noch möglich ist. Was ist uns trotz Kontaktverbot und Homeoffice noch geblieben, oder erst dadurch ermöglicht worden? Ganz wunderbar hat das der Zen-Meister Alexander Poraj in seinem aktuellen Youtube Impulsvortrag beschrieben (Link siehe unten).
Für mich heißt das ganz klar mehr Zeit in der Natur und mit der Familie. Außerdem erlaubt es mir mehr Fokus, weil so viele Termine an den Abenden und Wochenenden weggefallen sind. Für mein kleines Unternehmen bedeutet es auch eine schnellere Digitalisierung – Online Workshops und Online Trainings hatte ich vor Corona nicht einmal in Betracht gezogen. Es bietet auch die Möglichkeit sich auf weniger Kunden zu konzentrieren und sich ganz einzulassen, anstatt ständig zu viele Bälle zu jonglieren. Plus die Zeit endlich mal einen Newsletter wie diesen aufzusetzen.
Im Unternehmenskontext wird das Thema Kontroll-Illusion nochmal umso deutlicher. Wie viel Zeit wird in Unternehmen darauf verwendet Umsätze vorherzusagen, Individualziele zu vereinbaren, um Führungskräfte zu messen und zu inzentiveren. Jetzt - in dieser weltweiten Krise - sind all diese Zahlenkolonnen hinfällig. Was tun? In einer durch Umsatzzahlen oder Shareholder Value geprägten Unternehmenskultur besteht in dieser Ausnahmesituation eine große Unsicherheit, nach welchen Kriterien Management-Entscheidungen getroffen werden können. Welche Ziele gelten, wenn Umsatz- beziehungsweise Gewinnmaximierung gerade ad absurdum geführt sind?
Könnten Werte, wie der gesellschaftliche Beitrag, den ein Unternehmen leistet, zusammen mit seinen Nachhaltigkeitskonzepten und dem wertschätzenden Umgang mit seinen Mitarbeitern die Ziele der Unternehmensführung zumindest ergänzen? Aus meiner Sicht: ein klares Ja! Natürlich muss ein Unternehmen profitabel sein, sonst gefährdet es seine eigene Existenz. Aber gerade jetzt wird deutlich, dass diese zusätzlichen Steuerungsprinzipien, in jeder beliebigen wirtschaftlichen Lage gelten und Führungskräften auch in Krisen wertvolle Entscheidungskriterien an die Hand geben. Frédéric Laloux nennt das nach dem ‚Sinn‘ steuern.
Die Antwort auf die Frage nach dem gesellschaftlichen Beitrag muss natürlich in jedem Unternehmen situativ gemessen an den gesellschaftlichen Herausforderungen beantwortet werden. Somit kann dafür kein Fünfjahresplan erstellt werden. Wenn die Klimakrise die Gesellschaft am meisten bedroht, sind Nachhaltigkeitskonzepte zusammen mit innovativen Technologien von höchster Relevanz. Bedroht eine Pandemie die Menschheit, stellt die Umstellung der Produktion auf Atemmasken, Beatmungsgeräten oder so einfachen Dingen wie Händedesinfektionsmitteln einen großer gesellschaftlichen Beitrag dar.
Diese situativen Entscheidungen erfordern von den Führungskräften einen Blick über den Tellerrand: das bedeutet einen Blick über die persönliche Karriere und das alleinige Wohl des eigenen Unternehmers hinaus. Die Süddeutsche titelte diese Tatsache mit ‚Neue Manager braucht das Land‘ (siehe Link zum Online Essay). Agieren und steuern nach einem höheren Sinn erfordert von Führungskräfte vor allem Mut, um alte Denkmuster und Verhaltensweisen zu verlassen. Dieser Mut kann nur aus der Erkenntnis und Akzeptanz der Tatsache erwachsen, dass es nicht in unserer Macht steht, alles zu kontrollieren und so zu verändern, wie es uns gefällt.
Im gesellschaftlichen Kontext würde ich mir wünschen, dass wir von unseren Regierungen auf Bundes- und Landesebene nicht Planbarkeit einfordern, wo es keine gibt. Keiner weiß, wie sich das Virus ausbreitet, wenn wir weitere Öffnungen des gesellschaftlichen Lebens vollziehen. Also warum akzeptieren wir nicht einfach die Tatsache, dass das Virus sich nicht unseren Wünschen unterordnet?
Schulen haben meiner Meinung nach die Situation akzeptiert. Sie lenken ihre Energie auf kreative Lösungen, bereiten sich vor, auf lange Sicht mit digitalen Lern-Konzepten mindestens als Ergänzung zum Präsensunterricht zu arbeiten. Heute kam ein Spenden-Aufruf für PCs und Laptops aus unserer Schule, um Familien, die noch nicht ausreichend digital aufgestellt sind, unterstützen zu können. Solche Aktivitäten sind aus meiner Sicht so viel sinnvoller als Pläne einzufordern, wie wir schnellst möglich wieder unseren Wunschzustand erreichen können, wenn diesen zu erreichen doch gar nicht in unserer Macht steht.
Fazit: Ja, ich weiß, das Wort Demut passt so gar nicht in unsere Leistungsgesellschaft, doch hätten wir alle ein bisschen mehr davon, würden wir uns so viel leichter tun, mit dieser Ausnahmesituation zurechtzukommen.
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren