In unserem aktuellen Umfeld gibt es kaum noch einfache Lösungen beziehungsweise Entscheidungen – sei es im Privaten, in Organisationen oder in der Gesellschaftspolitik. Alles scheint im Moment komplex zu sein. Sei es die Begleitung des Nachwuchses bei der Auswahl eines Berufsweges, oder die strategische Ausrichtung des Unternehmens als Fach- oder Führungskraft, oder der Umgang mit den Bauernprotesten und die damit verbunden Agrar- und Klimapolitik.
Die Unsicherheiten, die mit den unterschiedlichen Situationen verbunden sind, muss ich gar nicht langwierig ausführen, denn sie sind offensichtlich:
Für 20-Jährige sind die unzähligen Angebote an Studienrichtungen, die Möglichkeiten für duale Studien, die Auslandaufenthalte kombiniert mit einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr, aber auch die Veränderung bzw. der Wegfall vieler Berufe aufgrund von Künstlicher Intelligenz gänzlich unüberschaubar.
Die globalen Märkte, die auf die multiplen Krisen reagieren, sind selbst für Experten nur noch bedingt vorhersagbar. Wie sollen unter diesen Bedingungen Unternehmenslenker:innen Entscheidungen so treffen, dass das Unternehmen erfolgreich fortbestehen kann?
Was ist nun die richtige Agrarpolitik für Europa, wenn Klimaschutz mitgedacht werden soll? Importe von außerhalb der EU bringen günstigere Produkte in den Europäischen Binnenmarkt und gleichzeitig sind europäische Produkte aufgrund von Regulierungen teurer in der Herstellung. Die Verbraucher scheinen nicht bereit zu sein für Produkte aus Europa mehr zu bezahlen. Doch eine Rücknahme von Klima- bzw. Artenschutz auf europäischer Ebene ist sicherlich auch nicht die Lösung.
Tatsächlich ist es mit Entscheidungen in komplexen Kontexten so, dass es nicht die eine richtige gibt, die für alle Beteiligten nur Vorteile bringt. Gerade in Organisationen machen wir uns oft etwas vor, indem wir denken, wir müssten eine Entscheidung nur sorgfältig genug vorbereiten, dann würden wir schon die perfekte Auswahl treffen, die ohne Risiko ist und auch noch alle Beteiligten mitnimmt.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen entscheidet sich dafür, ein neues Produkt zu entwickeln und sobald es fertig ist, ein anderes vom Markt zu nehmen. Dann wird es möglicherweise Mitarbeiter geben, die nicht mehr gebraucht werden, andere werden umgeschult und für das neue Produkt eingesetzt. Vielleicht geht dem Unternehmen bei diesem Prozess ein Mitarbeiter mit einem sehr spezifischen Wissen verloren, welches noch gebraucht worden wäre. Auch könnten mehr Mitarbeiter an dem alten Produkt verhaftet sein, als sie zum Zeitpunkt der Entscheidung zu erkennen gegeben haben. Möglicherweise wird das Produkt gegen alle Erwartungen nicht vom Markt angenommen, dann wären vielleicht die Kapazitäten und Kompetenzen in der Produktion nicht mehr vorhanden, um auf das alte Produkt zurückzufallen.
Das Beispiel mag vielleicht etwas konstruiert klingen, was ich ausdrücken möchte, ist Folgendes:
- Es gibt keine Entscheidung ohne Nachteile, Kosten und Schattenseiten.
- Zahlen, Daten und Fakten, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, beziehen sich immer auf die Vergangenheit. Die Zukunft, in der die Entscheidung wirkt, ist trotzdem unsicher.
- Die Entscheiderin kann den Erfolg ihrer Entscheidung nur begrenzt beeinflussen, denn die Zukunft wird auch vom Verhalten der Mitarbeiter, den Märkten und den globalen Gegebenheiten bestimmt.
- Entscheidungen in komplexen Kontexten haben immer ein Risiko, egal wieviel Vorbereitungen hineingeflossen sind.
Mit dem letzten Punkt will ich nicht suggerieren, Entscheidungen sollten nicht gut vorbereitet werden, ganz und gar nicht! Gute Recherche von Zahlen, Daten und Fakten öffnet den Lösungsraum, liefert also mehr Entscheidungsoptionen und damit den Handlungsspielraum. Nur die Unsicherheit für die Zukunft nimmt die Recherche nicht weg. Ein Zitat von Klaus Eidenschink (Organisationsberater) lautet: „Wenn man es berechnen kann, ist es keine Entscheidung.“ Das soll bedeuten, wenn mir die Zahlen, Daten und Fakten einen eindeutigen Weg aufzeigen, dann muss ich ja keine Entscheidung mehr treffen.
Gepaart mit der Erkenntnis, dass wir keine Kontrolle über unsere Zukunft haben, möchte ich allen Entscheidern und Entscheiderinnen folgende Empfehlungen an die Hand geben:
- Anerkennen, dass wir nicht allmächtig sind und die Zukunft nicht planen können.
- Anerkennen, dass jede Entscheidung auch Nachteile hat.
- Entscheidungen auf Probe treffen, wann immer es möglich ist. Also reversible Entscheidungen treffen, die wir korrigieren können, wenn sie sich als ungeeignet herausstellen. Dieses Prinzip kennen wir bereits aus dem iterativen Vorgehen im agilen Arbeiten.
- Da Zahlen, Daten und Fakten nicht helfen, um das Risiko für die Zukunft zu eliminieren, mehr auf Intuition, Erfahrungen und Wahrnehmungen achten. Denn wenn wir mal ehrlich sind, machen wir das schon. Wie oft legen wir Tabellen (mit Zahlen, Daten, Fakten) zur Entscheidungshilfe an und manipulieren sie so lange, bis das rauskommt, was unsere Intuition uns empfiehlt.
- Auch Unternehmenslenker:innen entscheiden in komplexen Kontexten häufig aus ihrer Intuition heraus. Meine Empfehlung an alle Entscheider:innen: es auch genauso an die Belegschaft, das Team, die Organisationseinheit, die es betrifft, zu kommunizieren. Ehrlich sein, anstatt zu behaupten, die Zahlen hätten zu dieser Entscheidung geführt.
- Entscheiden auch unter Unsicherheit mit allen verbundenen Nachteilen, denn nicht entscheiden, ist auch eine Entscheidung!
Freue mich auf Eure Rückmeldungen, welche Erfahrungen Ihr bereits beim Entscheiden in unsicheren Kontexten gemacht habt.
Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden dritten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren