Das EGO und einige praktische Tipps, um es in Schach zu halten

Wie oft haben wir uns schon über das EGO eines anderen geärgert: Neulich im Straßenverkehr hat sich jemand so richtig wichtig genommen und sich absolut rücksichtslos verhalten. Oder die Chefin wollte mal wieder nur ihr EGO bedienen, anstatt die beste Lösung für das Team auszuwählen. Und dann war da noch der Kollege, der die für ihn persönlich beste Alternative durchgeboxt hat, anstatt auf die Gemeinschaft zu schauen.

Aber, wie ist das denn mit unserem eigenen EGO? Jeder von uns hat es. Wir haben es während unseres Lebens kultiviert und ausgebildet. Es erscheint uns in vielen Situationen hilfreich zu sein - mindestens im Unternehmenskontext. In klassischen pyramidalen Organisationen sind die Regeln und Umgangsformen so, dass sich EGO auszahlt. Denn auf dem Weg nach oben oder zur nächsten Gehaltserhöhung wird der Wettbewerb stärker. Laut sein und sich durchsetzen scheint die richtige Strategie zu sein. Denn weiter oben gibt es eben nur noch wenige Positionen. Das ist das Charakteristikum einer Pyramide.

Was ist eigentlich EGO genau? Es stammt aus dem lateinischen und bedeutet ICH. Über die Bedeutung geben und gaben Philosophen und Psychologen sehr unterschiedliche Definitionen. Eine aus meiner Sicht interessante Betrachtung ist die von den US-Psychologen Timothy Leary und Jerry S. Wiggins (siehe auch den Link zum Artikel im Magazin: Neue Narrative). Diese beiden Psychologen betrachten EGO und Altruismus orthogonal zueinander. Sie beschreiben, dass jeder Mensch von beidem etwas hat. Wobei extreme Ausprägungen bekanntlich für Schwierigkeiten sorgen. Somit betreibt eine Person, die ganz wenig EGO hat und stark altruistisch agiert, zu wenig Selbstfürsorge. Die Person, die ein sehr stark ausgeprägtes EGO hat und überhaupt nicht unterstützend und kooperativ agiert, gefährdet das Gemeinwohl. Im Umkehrschluss bedeutet diese Betrachtungsweise allerdings, dass ein ausgeprägtes EGO zu haben, nicht unbedingt schlecht ist, solange auch die altruistische Seite ausreichend ausgebildet ist.

Jemand, der denkt, dass sein EGO zu ausgeprägt ist, könnte, um eine bessere Balance zu erreichen, seine altruistische Seite stärken. Dies gelingt beispielsweise indem er sein Mitgefühl trainiert und sich in Dankbarkeit übt.

Was kann man nun aber tun, wenn man denkt, dass die Menschen um einen herum ein zu ausgeprägtes EGO haben? Wenn man selber oder seine etwas ruhigeren Kolleginnen zum Beispiel nicht zu Wort kommen und schon gar nicht ihre Ideen durchsetzen können? 

Wir wäre es, wenn wir die Regeln zur Zusammenarbeit neu definieren? Wenn wir Regeln aufstellen, die den Rahmen schaffen, zu starke EGOs in ihre Schranken zu weisen? Wir könnten ganz klein mit Regeln für gute Meetings anfangen und damit schon viel bewirken. Da ein EGO immer auch ein Gegenüber (also ein WIR) benötigt, um überhaupt sein zu können, hat man schon einen sehr großen Hebel, wenn man bei den Meetings ansetzt. Denn dort ist eine besondere Bühne für unsere EGOs. 

Hier habe ich ein paar Beispiele für gute Meeting-Praktiken zusammengestellt:

  • Für jedes Meeting einen Moderator benennen, der dafür sorgt, dass die neuen Regeln eingehalten werden.
  • Dem Meeting ein klares Ziel geben: dann können alle Rede-Beiträge auf dieses Ziel bezogen werden, und man erkennt Blindgranaten sofort.
  • Nur Teilnehmer einladen, die auch wirklich zum Meeting gebraucht werden.
  • Öfter in ‚Runden sprechen‘, um sicherzustellen, dass alle zu Wort kommen – auch die Stilleren.
  • Jeden ausreden lassen.
  • Maximale Sprechdauer vereinbaren, wenn das nötig erscheint.
  • Aussagen vom Sprecher klassifizieren lassen: dies ist eine Frage, eine Reaktion, ein Vorschlag oder eine emotionale Regung. Letzteres stellt sicher, dass eine Emotion nicht irreführenderweise in einen scheinbar inhaltlichen Beitrag verpackt wird.
  • Gewaltfreie Kommunikation anwenden: „was habe ich beobachtet“, „was macht das mit mir“, „was wünsche ich mir von Dir“ - ‚DU‘ Botschaften vermeiden!
  • Auf klare Kommunikation achten: keine unpräzisen Sätze wie „Man / jemand müsste mal...“ zulassen.
  • Am Anfang einen Check-in und am Ende einen Check-out durchführen. Dabei geht es darum, jeden Teilnehmer zu aktivieren und seine oder ihre Befindlichkeit herauszuhören.


Ein anderer Weg, das EGO beziehungsweise die EGOs in Schach zu halten, ist das Arbeiten im Scrum Framework. In meiner Tätigkeit als Agiler Coach begleite ich viele Teams bei ihrer Transition zum Arbeiten nach Scrum. Im Scrum Framework sind viele der soeben beschriebenen guten Meeting-Praktiken bereits eingebaut. Der Scrum Master ist per Definition der Moderator aller Meetings und achtet auf die Einhaltung der guten Praktiken. Alle Scrum Meetings haben ein klares Ziel. Meetings außerhalb des Frameworks braucht es so gut wie keine. Besonders in der Methode des agilen Schätzens wird ein homogener Austausch gefördert. Es wird nur die Person mit der höchsten und der niedrigsten Schätz-Zahl aufgerufen, seine Schätzung zu begründen. Somit ist sichergestellt, dass nicht immer die üblichen Verdächtigen das Wort ergreifen, sondern eben diejenigen mit einer Zahl in den Randbereichen der Schätzung. Die regelmäßigen Retrospektiven, die sich ausschließlich mit der Verbesserung der Zusammenarbeit im Team befassen, sind der Garant, dass jeder im Team gehört wird. 


Wer also nicht langsam - Schritt für Schritt - in eine bessere Meeting-Kultur ohne übersteigerte EGOs wachsen und die Kommunikation innerhalb des Teams harmonisieren möchte, kann sich über das Scrum Framework auf einen Schlag viele gute Praktiken direkt ins Team holen. Das Thema, übersteigertes EGO, habe ich in meiner Praxis als Agiler Coach nur in ganz wenigen Fällen, beim Product Owner gesehen. Hier ist es die klare Aufgabe des Scrum Masters, dieses zu thematisieren und über Feedback dem Product Owner zu helfen, daran zu arbeiten. Denn im Scrum Framework hat der Scrum Master nicht nur die Rolle des Meeting-Moderators, sondern auch den kompletten Prozess zu moderieren. Dazu gehört auch die Scrum Rollen in ihre Schranken zu weisen.

Anmerkung zum Schluss: Inspiration und Impulse zu diesem Newsletter habe ich aus dem Magazin Neue Narrative (Ausgabe #8 ) gewonnen. Die Zeitschrift ist im Bereich New Work einzuordnen und sehr zu empfehlen! Die Überleitung zum Thema Scrum entspringt meiner langjährigen Erfahrung im Arbeiten mit agilen Teams und spiegelt meine tiefe Überzeugung wieder.

Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren


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Andrea SchmittInnovationstrainerinAm Mittelpfad 24a65520 Bad Camberg+49 64 34-905 997+49 175 5196446
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