Case Study - Transformation zum Agilen Arbeiten bei in-tech smart charging

Ausgangslage

Die in-tech smart charging GmbH entwickelt und produziert Powerline Communication Module sowie Kommunikationsmodule für Elektrofahrzeuge und Ladesäulen. Zu Beginn meiner Arbeit war das Unternehmen auf drei Standorte in Deutschland verteilt (heute sind es vier) und umfasste etwa 25 Mitarbeiter. 

Wunsch nach Veränderung / Auftrag

Der Geschäftsführer Thomas Wagner trat mit dem Wunsch an mich heran, zu prüfen, ob eine Umstellung auf agiles Arbeiten (siehe Link zu Arbeiten nach Scrum unten) für sein Unternehmen der richtige Weg sein würde. Er und seine Führungskräfte wünschten sich mehr Transparenz und eine bessere Kommunikation über die drei Standorte hinweg, einen einfacheren Weg Themen zu priorisieren, eine geringe organisatorische Komplexität und für die Mitarbeiter mehr Freude bei der Arbeit. Weiterhin sollten die Arbeitsweisen über die historisch gewachsenen Standorte hinweg angeglichen und die Nähe zum Kunden erhöht werden. Das übergeordnete Ziel war es, die Organisation in-tech smart charging noch anpassungsfähiger für zukünftige Entwicklungen im Markt aufzustellen.

Unser Vorgehen

Nach einer ausführlichen Auftragsklärung zwischen dem Geschäftsführer und mir bildete sich im März ein Planungsteam. Es bestand aus fünf später sieben Führungskräften und Teamleitern der in-tech smart charging und mir als begleitender Coach. Gemeinsam überlegten wir, wie wir die Projektarbeit auf ein oder mehrere agile Teams überführen könnten. Nach ersten Überlegungen wurde klar, dass es zwei Scrum Teams geben sollte. Wir evaluierten, wer aus der Belegschaft die Rollen Scrum Master und Product Owner übernehmen könnte. Weiterhin erarbeiteten wir einen Vorschlag, wie die Hard-, Softwareentwickler und Tester standortübergreifend auf die zwei Teams aufgeteilt werden könnten. Danach teilten wir die Produkt- und Maintenance-Themen, die zuvor über Projekte abgebildet waren, auf zwei Teambacklogs auf. Innerhalb der Planungsrunden wurde auch offen diskutiert, welche Rollen und Aufgaben mit der möglichen Einführung von Scrum obsolet werden würden. Diese ausführliche Planungsarbeit erstreckte sich etwa über einen Monat, somit konnte sich das Thema bei allen Beteiligten aus dem Planungsteam in Ruhe setzen. Thomas Wagner, Geschäftsführer der in-tech smart charging, resümiert: „Es war der richtige Weg, die Führungskräfte von Anfang an in Form des Planungsteams einzubinden.“

Der aus meiner Sicht wichtigste Schritt kam danach: Nachdem der sorgfältig ausgearbeitete Vorschlag der kompletten Belegschaft durch Thomas Wagner vorgestellt worden war, moderierte ich Einwandintegrationsrunden (angelehnt an das Einwandintegrationsverfahren von Bernd Oestereich und Claudia Schröder). In Kleingruppen von bis zu fünf Mitarbeitern wurde visualisiert und diskutiert, wo jeder Einzelne Bedenken hatte und wie diese minimiert werden konnten. Die für den Gesamtvorschlag relevantesten Einwände waren folgende: 

  • wichtige unplanbare Supportthemen, die über eine Fastlane abgebildet werden sollten, und
  • scrumteam-übergreifende Zusammenarbeit, der über Regeltermine zwischen den beiden Product Ownern und einer Gilde zwischen den Hardware-Entwicklern der beiden Scrum-Teams Rechnung getragen werden sollte.

Der anhand der Einwände modifizierte Vorschlag wurde Anfang Mai erneut der Belegschaft vorgestellt und ein Testlauf des Arbeitens nach Scrum von drei Sprints vereinbart.
Für die Erstellung der beiden Teambacklogs als Vorarbeit zum Start von Scrum hatten wir uns einen weiteren knappen Monat Zeit genommen. Diese Arbeit wurde sowohl durch die zwei Product Owner in stiller Arbeit als auch in Form von Backlog Refinement Meetings zusammen mit dem jeweiligen Umsetzungsteam vorgenommen. 
Anfang Juni war es dann soweit, der erste Sprint konnte starten. Zunächst moderierte ich alle Scrum Meetings wie Backlog Refinement, Planning, Review, Retrospektive und Dailys selbst, die jeweiligen Scrum Master schauten nur zu. Ab dem zweiten Sprint kehrten wir das Vorgehen um: Der jeweilige Scrum Master moderierte die Meetings selbst und ich hatte die Rolle des Beobachters inne, mit der Option im Anschluss an die Meetings Feedback zu geben. 
Wir hatten uns bewusst gegen ausgiebige Trainings vorab entschieden, weil wir es für effektiver hielten, allen Beteiligten ein ‚Learning by Doing‘ zu ermöglichen.
Wie zu Beginn des Transformationsprozesses vereinbart, wurden alle Mitarbeiter nach Ablauf der ersten drei Sprints anonym befragt, ob sich Scrum aus ihrer Sicht bewehrt hatte oder nicht. Das Ergebnis war mehr als eindeutig: 75% alle Befragten wollten nach Scrum weiterarbeiten – bei den Umsetzungsteams, war die Tendenz sogar noch deutlicher: dort stimmten 85% für ein Fortfahren nach Scrum. Im Kommentarfeld hinterließen Mitarbeiter Anmerkungen wie:

  • Das interdisziplinäre Arbeiten wurde verbessert, Kollegen können ‚Neues‘ lernen und somit ihr Wissen verbreitern.
  • Das gemeinsame Ziel ist für uns Mitarbeiter noch klarer geworden und wir können mit besserem Fokus arbeiten.
  • Aufgaben und Verantwortung sind transparenter als vor dem agilen Arbeiten.
  • Supportthemen werden geordneter in die Teams eingebracht und deren Dringlichkeit sorgfältiger eingeschätzt als zuvor.
  • Die Kommunikation hat sich insgesamt verbessert.
  • Es wird sichtbar, dass die Mitglieder des Umsetzungsteams sich über die Würdigung ihrer Arbeit in den Review Meetings durch die anwesenden Stakeholder freuen.
  • Der standortübergreifende Teamgedanke ist erst durch die standortüber-greifenden Scrum Teams entstanden.
  • Die Nähe zum Kunden ist gewachsen. (Anmerkung von mir: Eins der beiden Teams hat schon zum dritten Review Meeting Kunden eingeladen. Die Rückmeldung des Kunden war: „Das Review Meeting hat zu höherer Transparenz und mehr Vertrauen geführt.“)

Aktuell (Mitte August) ziehe ich mich als agiler Coach langsam zurück. Einer der drei durch mich ausgebildeten Scrum Master hat die unternehmensweite Rolle des agilen Coaches übernommen und ich bin überzeugt, dass er die Agilität auch zukünftig und ohne mein Zutun bei der in-tech smart charging GmbH voranbringen wird.

Mein Fazit

Natürlich lief nicht alles rund. Die Einführung von Scrum ist immer ein radikaler Veränderungsschritt. Nicht alle Mitarbeiter sind sofort bereit diesen direkt mitzugehen. Einer der Scrum Master hatte Schwierigkeiten ausschließlich die Moderationsrolle wahrzunehmen, ohne von seiner technischen Expertise Gebrauch zu machen. Hier diskutieren wir gerade, ob er ausreichend Freude an der Rolle hat, um sie weiter zu leben. Eine sehr hohe Last liegt auf den Product Ownern, die allein verantwortlich für die Priorisierung der Themen sind und damit kommerzielle Verantwortung tragen, die sie zuvor nicht im gleichem Umfang innehatten. Beide Product Owner werden derzeit von ihren Führungskräften und mir bei dem Hineinwachsen in ihre neuen Rollen gecoacht. Das Thema ‚Selbstverpflichtung‘ war zu Beginn für eines der beiden Scrum-Umsetzungsteams mit noch recht jungen Entwicklern nicht so vertraut. Der verantwortliche Scrum Master hilft den Mitarbeitern aktuell in das Feld der Selbstverpflichtung hineinzuwachsen. 
Für mich bemerkenswert ist, dass diese Transformation in Pandemiezeiten ausschließlich remote und online stattgefunden hat und noch stattfindet. Das heißt alle Meetings finden online statt, alle Boards wie die Team- und Sprint-Backlogs existieren nur elektronisch. Natürlich findet auch das Datensammeln innerhalb der Retrospektive auf digitalen Whiteboards statt. Und es funktioniert! Gut sogar!

Abschließend möchte ich resümieren: Wir haben im März mit der ersten Planung begonnen, im Juni den ersten Sprint gestartet und können jetzt Mitte August auf eine größtenteils abgeschlossene Transformation blicken. Die Firma in-tech smart charging GmbH hat aus meiner Sicht die Transformation vorbildlich gemeistert. Es wurde mit sehr viel Bedacht geplant, die Bedenken der Mitarbeiter werden zu jedem Zeitpunkt ernst genommen - nicht zuletzt durch die gute Besetzung der Scrum Master Rollen. Es befinden sich robuste Mitarbeiter in der Rolle der Product Owner, die das anfängliche Ruckeln aushalten. Es gibt sehr lern- und wissbegierige Entwickler, die das interdisziplinäre Arbeiten annehmen und einen mutigen Geschäftsführer, der diese Transformation angestoßen hat und trotz unsicherer Pandemiezeiten, die zusätzliche Ungewissheit einer neuen Arbeitsweise wagt.

Nachtrag des Geschäftsführers Thomas Wagner

„Das von Andrea initiierte methodische Vorgehen - wie oben beschrieben - hat uns sehr gut gefallen. Darüber hinaus empfand ich Andreas Kombination aus Konsequenz bezüglich der Scrum-Regeln auf der einen Seite und Pragmatismus auf der anderen Seite als sehr zielführend.“

Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter „Innovation am Mittwoch“. Der Newsletter erscheint jeden zweiten Mittwoch – Hier können Sie ihn abonnieren


Lese- und Videotipps:


Andrea SchmittInnovationstrainerinAm Mittelpfad 24a65520 Bad Camberg+49 64 34-905 997+49 175 5196446
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